WIELAND (1788)

Christopher Wieland, “Gegen die Verleumdung”, in Lukian. Parodien und Burlesken , Zurigo 1948

Rechter Hand sitz ein Mann, der so grosse Ohren hat, dass sie den Midasohren gleichen. Er reicht schon von ferne der auf ihn zukommenden Verleumdung die Hand. Zu seinen beiden Seiten stehen zwei Frauen, die mir die Unwissenheit und das Misstrauen vorzustellen scheinen. Von der anderen Seite nähert sich die Verleumdung in Gestalt eines wunderschönen, aber etwas erhitzen Mädchens, deren Gesichtszüge Groll und Ingrimm verraten, so wie man die Gottinnen der Wut und des Zorns darzustellen pflegt; sie trägt in der linken Hand eine brennende Fackel und schleppt mit der rechten an den Haaren einen jungen Menschen herbei, der die Hände zur Himmel streckt und die Götter zu Zeugen seiner Unschuld anruft. Vor ihr her schreitet ein hässlicher, bleichsüchtiger, hohläugiger Mann, der so aussieht, als ob er von einer langwierigen Krankheit ausgezehrt wäre, und in dem man ohne Mühe den Neid erkennt. Hinter der Verleumdung gehen zwei andere Frauen einher, die si aufzuhetzen, zu unterstützen und herauszuputzen scheinen, und deren eine, wie mir der Ausleger des Gemäldes sagte, die Arglist, die andere die Täuschung darstellt. Noch weiter hinten folgt in schwarzem und zerrissenem Frauerkleide die Reue: sie weint und wendet beschämt das Gesicht von der Wahrheit, die sich ihr nähert, ab, als ob sie sich scheue, ihr in die Augen zu sehen.